Freitag, 1. Januar 2021

„Rabenvater Staat“ von Jenna Behrends (Rezension)

 


 Das Rezensionsexemplar von "Rabenvater Staat" von Jenna Behrends wurde mir dankenswerter Weise für die Rezension vom DTV zur Verfügung gestellt. Mithin Werbung.

Die junge CDU-Frau

Jenna Behrends hat Rechtswissenschaften studiert und eine journalistische Ausbildung gemacht. Sie ist 28 Jahre alt, Mutter und erzieht ihre Tochter getrennt vom Vater. Kein ganz ungewöhlicher Lebensentwurf in Deutschland 2019.
Aber Jenna Behrends ist in der CDU aktiv und sitzt für die CDU in der Bezirksverordnetenversammlung von Berlin Mitte.

Bei der letzten Europawahl erreichte die CDU bei den Wählern unter 30 Jahren gerade einmal 14%. Nicht nur die Wählerschaft der CDU, auch die Mitglieder vergreisen zusehends. Aus der medialen Debatte über die letzte Europawahl konnte man sogar den Eindruck gewinnen, dass Philipp Amthor das einzige aktive Mitglied der CDU unter 30 ist. Sogar der Bundesvorsitzende der "jungen" Union, Tilman Kuban, ist mittlerweile 32 Jahre alt.
Im Schnitt sind weibliche CDU-Mitglieder laut Wikipedia 33 Jahre älter als Jenna Behrends. Sowieso sind aber nur ein Viertel der CDU-Mitglieder weiblich.

Alter, CDU, Wahlen, Europawahl 2019
@Forschungsgruppe Wahlen

Allein aus diesen Zahlen kann man ablesen, dass Jenna Behrends in ihrer Partei etwas Besonderes ist. Als sie mit 23 Jahren ihre Tochter bekommen hat, ist sie der CDU beigetreten. Auch gesamtgesellschaftlich betrachtet ist das etwas Besonderes. Oft ist diese fordernde Zeit der Familie vorbehalten und junge Mütter haben weder Zeit noch Energie für politisches Engagement.

Die süße Maus

Bundesweit bekannt wurde Jenna Behrends mit einem offenen Brief, der auf Edition F veröffentlicht wurde, in dem sie den Sexismus und Stutenbissigkeit in der CDU anprangert. Kurz darauf saß sie mit ihrer Tochter auf dem Spielplatz, die BILD-Zeitung rief an und der Shit-Storm nahm seinen Lauf. Davon hat Jenna Behrends 2018 in einem Panel auf der Blogfamilia berichtet. Das Medieninteresse hatte schlicht alptraumhafte Züge. Sowas wünscht man per se niemandem.

Jenna Behrends, Digitalpoilitik, Blogfamilia 2018

Auf Spiegel-Online gibt es eine Rückschau auf die Affäre in der Jenna Behrends als "die Maus" bekannt wurde. Tatsächlich gibt diese Beschreibung der Geschehnisse aber auch einen Einblick in die Funktionsweise der CDU, die zur Hauptsache aus alten Männern und Philipp Amthor besteht.
Auf der Leipziger Buchmesse 2019 habe ich Jenna Behrends getroffen und sie als sehr sympathisch im Gespräch kennengelernt. Vom Typ wirkt sie eher zart, leise und etwas zerbrechlich - grundsätzlich eher untypisch für Politiker. Aber da sie jetzt schon ein paar Jahre in der Politik ist, sollte man sich davon nicht täuschen lassen. Außerdem finde ich, dass Politikerinnen zugestanden werden muss, dass sie nicht das Gehabe von männlichen Kollegen annehmen müssen, um gehört zu werden.

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Ich möchte hinzufügen, dass es mir selbst ein Rätsel ist, wieso eine junge Frau überhaupt in die CDU eintritt. Aber als Hamburgerin kenne ich persönlich auch schlicht niemand mehr, der in der CDU ist. In der SPD, bei den Grünen, in der FDP - ja, aber nicht bei der CDU. Allerdings muss man anerkennen, dass es nicht doof ist, wenn man eher konservativen Wertvorstellungen anhängt und etwas bewegen möchte, sich in der großen konservativen Partei zu engagieren.

Die Familienpolitikerin

Jetzt hat Jenna Behrends ein Buch herausgebracht.
Für viele überraschend und zur großen Enttäuschung der Verlage wollte Jenna Behrends kein Buch über Sexismus in der CDU schreiben, sondern über Familienpolitik.
Klar: Sex sells, Familienpolitik eher nicht.

Als Mutter von bald zwei Kindern war Jenna Behrends aber die Familienpolitik wichtiger und deshalb hat sie "Rabenvater Staat - warum unsere Familienpolitik einen Neustart braucht" geschrieben.

In Ihrem Buch durchleuchtet Jenna Behrends die aktuelle Familienpolitik einmal vollumfänglich und lässt auch Fehler ihrer eigenen Partei nicht unerwähnt. Sie begibt sich damit freiwillig, wie sie selbst schreibt, auf "vermintes Gelände". Einerseits, weil sich natürlich keiner in das eigene Familienkonzept reinreden lassen möchte und andererseits, weil das ganze Politikfeld extrem ideologiebehaftet ist. Ganz richtig stellt sie aber fest, dass das Private politisch wird, wenn es darum geht "Zeit für Verantwortung zu schaffen" in der die nächste Generation herangezogen wird.

Flickenteppich Familienpolitik

Beim Lesen wird schnell klar, dass die Autorin sich durch unfassbare Mengen an Statistiken, Berichten und freudlosen Zahlenkolonnen gegraben haben muss. Es gibt insgesamt die aberwitzige Menge von über 150 verschiedenen staatlichen Leistungen, die Familien beanspruchen können. Jenna Behrends bemängelt diese Förderung nach dem Gießkannenprizip. Das politische Leitbild sei verloren gegangen und es gebe keine zielgerichtete Förderung. Teilweise widersprächen die Förderungen sich sogar. Dabei sollte eine Regierung sich klar darüber sein, welches Ziel ihre Politik in erster Linie anstrebt. Soll der Alleinverdienerhaushalt gefördert werden oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Steht Kinderarmut im Fokus oder eine höhere Geburtenrate? Es fehle an der Steuerungsfunktion der Förderungen.

Im aktuellen Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD steht die Familienpolitik auch augenscheinlich nicht im Fokus. Die Vereinbarungen sind schwammig formuliert und im Verhältnis knapp gehalten.
Tatsächlich ist es für den Bürger auch hochgradig unklar, wer in der Bundesregierung für familienpolitische Maßnahmen verantwortlich ist. Im Buch wird nachvollziehbar aufgeschlüsselt, welche Ministerien neben dem Familienministerium ihre Finger im Spiel haben und wieso das nicht gut für die Konsequenz der Familienpolitik sein kann.

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Generationengerechtigkeit wiederherstellen

Genau wie beim Lesen von "Keine Kinder sind auch keine Lösung" kocht einem als Mutter die Wut hoch, wenn das derzeitige Rentenmodel erläutert wird. Eltern zahlen für ihre Kinder, Kinderlose sorgen für die Rente vor, die Kinder zahlen dann für die Rente von beiden.
Hier verschweigt Jenna Behrends auch nicht, dass es Adenauer war, der uns dieses unausgewogene System eingebrockt hat. Sie fordert eine Unterstützung von Eltern aus Steuermitteln und zwar nicht als Umverteilungsmaßnahme, sondern als Zukunftsinvestition in die Familie als "Keimzelle des Staates".

Familienrecht modernisieren

Jenna Behrends hat bei der Recherche für ihr Buch mit zahlreichen Familien im gesamten Bundesgebiet von Angesicht zu Angesicht gesprochen. Dabei ist ihr eine Vielzahl von gelebten Familienwirklichkeiten begegnet. Gerade Familien, die nicht aus einem Ehepaar mit Kindern bestehen, fänden sich im aktuellen Familienrecht nicht ausreichend wieder. Anhand anschaulicher Alltagsbeispiele schildert sie die enormen Probleme, die daraus für Menschen, die in anderen Familienmodelle leben, tagtäglich entstehen. Einen Satz aus dem Kapitel "Politik, die zum echten Leben passt" halte ich dabei für besonders bemerkenswert: "...die Politik bekommt auf Dauer ein Problem, wenn sie nicht mit dem übereinstimmt, was gesellschaftlich gelebt und gewollt wird". Genau das musste die CDU bei den letzten Europawahlen schon in Bezug auf Ihre Klimapolitik erfahren. Insbesondere die Parteiführung hat in ihren Stellungnahmen aber, gelinde gesagt, uneinsichtig reagiert.

Steuerliche Vergünstigungen überarbeiten

Ein weiterer Punkt, der von Jenna Behrends angeführt wird und der nachvollziehbar einer Neuregelung bedarf, sind die Steuersätze. Es ist schlicht unverständlich, wieso Windeln mit dem vollen Mehrwertsteuersatz besteuert werden und Ferkel, die von Schweinezüchtern gekauft werden nur mit dem ermäßigten Steuersatz von 7%. Meines Erachtens tatsächlich nur dadurch erklärbar, dass Eltern vermutlich die schlechtesten Lobbyisten der Republik sind. Trecker auf den Autobahnen ziehen einfach deutlich besser, als ein angedrohter Geburtenstreik, wenn man doch schon Kinder hat.

Ebenso wird im Kapitel "Politik, die mit Steuern steuert" die bereits vieldiskutierte Frage aufgeworfen, wieso die Ehe an sich einer Subventionierung durch das steuerliche Splittingverfahren bedarf. Die Ungerechtigkeit dieser Regelung wird im Buch besonders deutlich am Beispiel einer verwitweten Mutter, die durch den Tod ihres Mannes nicht nur auf einmal allein mit zwei Kindern, sondern durch den Wegfall des Ehegatten auch noch steuerlich schlechter dasteht.
Interessanterweise setzt sich Jenna Behrends nicht für ein Familiensplitting ein, sondern für eine individuelle Besteuerung aller Steuerpflichtigen. Nachvollziehbar würden dadurch die Fehlanreize, die das Ehegattensplitting schafft, wegfallen und Allein- und Zuverdienerehen wären weniger attraktiv. Jenna Behrends rechnet mit freiwerdenden Mitteln in Höhe von 15 Milliarden Euro, die für wirkliche Familienförderungen eingesetzt werden könnten.

Durchschaubarkeit schaffen

Eine weitere Forderung der CDU-Politikerin ist, mehr Transparenz für Familien zu schaffen. Leistungen, die der Staat zur Verfügung stellt, sollen natürlich auch von den Berechtigten abgerufen werden können. Dies scheitert aktuell daran, dass kaum eine Familie den Überblick über die mehr als 150 staatlichen Leistungen habe. Dazu käme, dass der Föderalismus mit seinen länderspezifischen Regelungen die Abrufbarkeit deutlich erschwere. Jenna Behrends schlägt für mehr Übersichtlichkeit eine Bündelung von Leistungen und die zentrale Zuständigkeit eines Familienbüros vor.

Kinderbetreuung sichern

Als Berliner Bezirkspolitikerin kommt Jenna Behrends nicht um das Thema der Kinderbetreuung herum. In Berlin ist die Situatoin mittlerweile derart schwierig, das es die Eltern auf die Straße treibt. Allerdings ist die Lage auf Grund der unterschiedlichen Zielsetzungen der zuständigen Länder und der jeweils zur Verfügung stehenden Mittel von Bundesland zu Bundesland derart unterschiedlich, dass die Probleme auch sehr verschieden sind. Insgesamt fordert Jenna Behrends aber ausreichende Plätze und mehr Qualität in der Kinderbetreuung. Zur Not auch durch Erhöhung bzw. Wiedereinführung der Elternbeiträge.

Fazit

Am Ende des Buches bin ich sehr froh, dass Jenna Behrends über Familienpolitik und nicht über Unappetitlichkeiten in der greisen CDU geschrieben hat. Erstens findet Familienpolitik trotz der großen betroffenen Wählergruppe viel zu wenig Beachtung und zweitens scheint es kaum Politiker zu geben, die Familienpolitik in all ihrer Kompliziertheit zu ihrem Thema machen. Da kann eine junge Frau, die noch mitten in der Familienphase ist, der Familienpolitik nur gut tun. Auch wenn man sich manchmal wünschte, dass sie lauter und ärgerlicher wäre, angesichts der geschilderten Ungerechtigkeiten - weniger Maus.
Aber solche Frauen finden in der CDU offenbar wenig Unterstützung.

Insgesamt muss ich sagen, dass ich beim Lesen nur an wenigen Stellen das Gefühl hatte, dass das Buch parteipolitisch eingefärbt ist. Einerseits erscheint die Autorin im Gegensatz zu ihrer Parteivorsitzenden erfrischend aufgeschlossen und andererseits weiß man natürlich überhaupt wenig darüber, wie jüngere CDUler ticken. Allerdings liegen die im Buch behandelten familienpolitischen Themen auch einfach derart im Argen, dass es aus Sicht von Menschen mit minderjährigen Kindern kaum Streit darüber geben wird, dass sie angegangen werden müssen. Die Frage ist vielmehr, wie sich eine Verbesserung dieser Punkte gegenüber den anderen gesellschaftlichen Interessengruppen durchsetzen lässt. Daher begrüße ich dieses Buch, weil es dem Leser Argumente und Zahlen an die Hand gibt, um diese Diskussion zu bestreiten. 


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